Zen und die Kampfkünste (Budo)
Budo ist unweigerlich mit dem Zen verhaftet. Wer dem Weg des Kriegers folgen will, sollte frei von Hoffnung sein. Da gibt es nichts zu finden und schließlich nichts zu suchen. Der Weg ist das Ziel.
Im Kyudo (japanische Bogenschießen) sagen die alten Meister, ist der Schuss getan,
ist es noch lange nicht vorbei…
“ Wer der Lehre des Zen, der wahren Grundlage des Budo, nicht folgen will, braucht es nicht zu tun. Er benutzt eben die Kampfkünste als ein Spielzeug, als einen Sport unter vielen.
Wer eine höhere Dimension seines Wesens und seines Lebens erreichen will, muss das verstehen.
Man kann niemanden zwingen und niemanden kritisieren. Nur eben, die einen sind wie Kinder, die mit Spielautos spielen, die anderen lenken richtige Autos.“
(Taisen Deshimaru Roshi, Zen in den Kampfkünsten Japans, München 1978, S. 64)
Erkenne dich Selbst
“ Erkenne den Gegner und erkenne dich selbst, so werden deine Kämpfe erfolgreich sein. Erkennst du den Gegner nicht, doch du erkennst dich selbst, so steht die Chance zu gewinnen oder zu verlieren gleich. Kennst du weder den Gegner noch dich selbst, so wirst du deine Kämpfe in Niederlagen zählen.“ (Sun tsu)
Die Kämpfkünste der Waffenlosen Selbstverteidigung wurden der Überlieferung nach von buddhistischen und tauistischen Mönchen entwickelt.
Im sechsten Jahrhundert kam der Mönch Bodhidharma (jap. Daruma), ein direkter Nachfolger des Buddha von Indien nach China. Er brachte eine Lehre ohne Schrift, jenseits von Worten und Buchstaben mit sich, die man Chan (jap. Zen) nannte.
Daruma soll 9 Jahre in Meditation gesessen haben. Zur Stärkung von Körper und Geist neben der Meditation hatte er Übungen zur Leibesertüchtigung entwickelt, die auch zur Selbstverteidigung genutzt werden konnten. Die Mönche praktizierten diese Übungen über die Jahrhunderte, um sich gegen Räuber und feindliche Soldaten zu schützen, aber vor allem um Körper und Geist in Einklang zu bringen.
So sind die Kampfkünste unweigerlich mit dem Zen verhaftet. Der bekannteste Ort und Quell des Chan und der Kampfkünste ist das Shaolin Kloster in der Provinz Heinan in China.
Als Zen im elften Jahrhundert nach Japan kam, war das Land von Kriegen beherrscht. Mit Hilfe von Zen wandelte man Kriegskünste des feudalen Japans in Künste des Geistes.
Budo und Zen sind eine Einheit. Das Schwert und Zen sind eins.
Aus dem Jutsu (Technik) wurde Do (Weg, Kunst), alle Techniken des Kampfes wurden Methoden zur Vervollkommnung des Geistes. Dieses Prinzip formulierte Gichin Funakoshi, der Vater des modernen Karate-do als oberstes Ziel des Karate. In den Dojo-Regeln – Dojoku – sagen wir:
„Jinkaku kansei ni tsutomuro koto.“; Strebe nach Vervollkommnung des Charakters.
Erscheinungen sind Leerheit
Der Feind befindet sich nur in einem selbst. Es ist nur die Verblendung eines selbstgefälligen „Ich“, die einen daran hindert seine wahre Natur und die Natur aller Dinge zu erkennen. Das Erkennen des wahren Ich kann in jedem Augenblick des täglichen Lebens, in jedem Kampf einem hilfreich zur Seite stehen.
Zen lehrt das seelische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Es ist möglich jede Grenze zu überschreiten. Jener, der Zen in seinem Leben verwirklicht, kann ohne Angst und Zweifel sein.
Alles und alle Unterscheidungen sind nur in deinem Kopf existent. Ku soku se shiki (Erscheinungen sind Leerheit …)
Was ist Zen?
Zen ist gleich der Ferne, ist man dort, ist sie fort. Es ist nicht greifbar, doch immer da.
Das ursprüngliche Wesen des Seins kann man nicht durch die Sinneseindrücke erfassen. Kodo Sawaki betrachtete die Täuschung der Sinne:
Sitzt man in einem Boot und betrachtet das Ufer, sieht es so aus als bewege sich das Ufer. Schaut man jedoch auf das Boot wird man der Täuschung nicht erlegen sein. Mit dem wahren Geist kann man die wahre Natur der Dinge erkennen, seien sie noch so sehr hinter schillernden Trugbildern versteckt.
Inayat Khan erzählte eine Geschichte von einem Fisch, der zur Königin der Fische ging und fragte: Ich habe immer vom Meer gehört, aber was ist das, dieses Meer? Wo ist es?“ Die Königin entgegnete ihm: „Du lebst, bewegst dich aund hast dein Sein im Meer. Das Meer ist in dir und außerhalb deiner, du bist aus Meer gemacht, und du wirst im Meer enden. Das Meer umgibt dich als dein eigenes Wesen.“
(Paul Reps, Ohne Worte ohne Schweigen, München, Wien 1999, S.207)
Zen übet die allgemeine rechte Aufmerksamkeit und konzentriert sich auf die Überschreitung des unterscheidenden (dualistischen) intellektuellen Denkens. Hieraus folgt ein Durchbruch zur Gesamtschau, des Erlebens der wahren Wirklichkeit. Zen kämpft jedoch nicht gegen das begreifliche Denken, es stellt nur das haften an den Dingen in Frage.
„Zen ist weder monotheistisch noch pantheistisch, es spottet solcher Beschreibung. Daher gibt es auch keinen Gegenstand im Zen, auf den der Geist zu richten wäre.
Zen ist eine schwebende Wolke am Himmel, keine Schraube befestigt, kein Strick hält es…
Zen will unseren Geist frei und unbeschwert sehen, schon der Gedanke an Einheit und Allheit ist ein hemmender Pflock und ein würgender Fallstrick, der die ursprüngliche Freiheit des Geistes bedroht.“ (Daisetsu T. Suzuki)
Geist ohne Form
Den Weg (Do) zugehen, Zen zu leben, heißt die Dinge zu durch dringen und im Hier und Jetzt zu sein. Lässt man den Geist wandern, spring er verwirrt umher. Man sieht viel doch nicht alles auf einmal. Wird man von Gegnern umringt und der Geist bleibt an einem haften, werden die anderen leichtes Spiel haben. Wechselt der Blick von einem zum anderen, ist der Geist nicht mehr bei der eigenen Technik. Man gerät so in große Gefahr. Richtet man den Geist nur auf die Technik, kann man kaum den Aktionen der Angreifen folgen.
In den modernen Zeiten ist es nicht mehr existenziell die Prinzipien des Kampfes zu verstehen, könnte man einwenden. Doch heute spring der Geist gierig von einem schillernden Ding zum anderen. Wenn man etwas besitzt, wird es schnell alltäglich und uninteressant. Der Geist schielt aufgeregt zum nächsten Ding. Nicht anders oberflächlich geht es derweil in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu.
Wohin nun mit diesem aufgeregten Geist, diesem Störenfried?
“ Kokoro koso, Kokoro mayowasu, Kokoro nare; Kokoro ni, Kokoro, Kokoro yurusu na.“
“ Nur der Geist verwirrt den Geist, denn da ist nichts anderes als Geist. Oh, Geist, Lass dich nicht täuschen vom Geist.“ (Yagyu Tajima no Kami)
Mushin, der Nichtgeist:
Ist der Geist ohne Form, kann er wie das Wasser ohne Anstrengung in jede Lücke fließen, so klein sie auch seien mag. Jeder Fehler der Gegner, jede Chance für Angriff und Verteidigung wird mit einmal sichtbar. Der Mond auf dem Wasser. Er scheint bewegt, doch steht er ruhig am Himmel. Er bleibt und bewegt sich doch.
Glaubensbekenntnisse, Dogmen und philosophische Systeme sind nur bloße Ideen über die Wahrheit. Worte sind keine Tatsachen, sondern beschreiben diese nur. Zen sucht den unmittelbaren Kontakt mit der Wahrheit, ohne zwischen Erkennenden und Erkanntem Theorien und Sinnbilder treten zu lassen. Bloße Begriffe und Glaubensbekenntnisse sind Dinge, die es nicht sonderlich leiden kann. Meditation ist ein Mittel zum Durchbruch. Sie ist jedoch jeder Arbeit, jedem alltäglichen Handeln gleichgestellt. Meister Dogen, Gründer der Soto Schule des Zen war der Meinung, dass alles Tageswerk, das aus der Erleuchtung fließt Zen-Übung ist. Jede Arbeit ist Zen-Übung. Man tut das, was man tut voll und ganz, ohne Hoffnung und Furcht, ohne Vorliebe und Abneigung. Lasse keinen Gedanken dazwischen Treten, so übst man Zen und so übt man die Kampfkünste. Zen und die Kampfkünste lehren den wachen Geist, der an nichts haftet. Das ist Leben im Hier und Jetzt. Im Kampf entscheidet sich Leben oder Tod, Sieg oder Niederlage in nur einem Augenblick. Die Einsicht kommt plötzlich wie ein Blitz.
Shiki soku ze ku. Ku soku ze shiki. Erscheinungen sind Leere. Leere wird zu Erscheinungen.
Buddhistischer Lehrsatz aus dem Hannya Shingyo.